Frechmut
Der Personalmarketing Blog
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Das sorgte für gehörig Wirbel: Die Deutsche Bahn verzichtete letzten Sommer medienwirksam auf die Anschreiben bei Bewerbungen angehender Azubis. Die Absicht dahinter: Das Bewerben so einfach wie möglich zu machen. Die Reaktionen in der Personalwelt waren geteilt. Dabei ist die Überlegung der Bahn kundenorientiert, ein echter Differenzierungsfaktor und… nachvollziehbar. Herzlichen Glückwunsch zum Mut, liebe Bahn.
Erstaunlicherweise wird erst zaghaft erkannt, dass komplizierte Bewerbungsprozesse zu einem no-go für die Talente geworden sind. Statt den roten Bewerbungsteppich auszurollen, wird ihnen noch immer hartnäckig der ausgetretene Türvorleger in Form des Bewerbungsdreigestirns Anschreiben – Lebenslauf – Zeugnisse vor den Latz geknallt.
Dabei müsste man es eigentlich besser wissen. Die Umworbenen wünschen sich einen unkomplizierten Bewerbungsprozess. Und sie strafen komplizierte Arbeitgeber immer öfter mit dem Entzug ihrer Sympathien und mit Nichtbeachtung ab: Jede/r Dritte hat sich schon einmal gegen eine Bewerbung entschieden, weil er dafür ein Online-Bewerbungsformular bzw. das Karriereportal des Arbeitgebers hätte nutzen müssen.[1]
Die Problematik der Anschreiben (auch: Motivationsschreiben, Begleitschreiben) modert seit Jahren vor sich hin. Von allen Bewerbungsdokumenten ist nämlich das Anschreiben bei Jobsuchenden am unbeliebtesten, zeigt eine Untersuchung. Jede/r Zweite unter 30 würde gerne auf dieses Instrument pfeifen.[2]
Das Anschreiben ist nur noch ein Abklatsch aus einer Zeit, als Stellensuchende Bittsteller waren und ihre guten Absichten gefälligst unter Beweis zu stellen hatten. Dabei wäre so ein Motivationsschreiben an und für sich ja eine feine Sache: Interessierte legen ihre Beweggründe (Motive) für die Bewerbung auf exakt diese Stelle in exakt diesem Unternehmen dar. Durchaus nützliche Informationen für die Arbeitgeber, um die Motivation und den langfristigen Erfolg der Bewerberin oder des Bewerbers schon vor dem ersten Kennenlernen abschätzen zu können. Soviel zur Theorie.
Ich wertete 100 zufällig ausgewählte und anonymisierte Motivationsschreiben auf 6 verschiedene Stellen von 4 Arbeitgebern in 3 Branchen in der Schweiz aus.[3] Repräsentativ ist das nicht, zugegeben, aber definitiv ein Pulsnehmer, der zeigt, in welche Richtung es geht. Und die ist klar:
Nur gerade jede zwanzigste (!) Bewerbung enthielt also nützliche Informationen zur Motivation. Dazu kommt ein hohes Mass an Beliebigkeit. Sage und schreibe 85 Prozent der Bewerbungen nahmen nicht mit einer einzigen Silbe Bezug zum Unternehmen – Copy-Paste vom Feinsten.
Ich höre schon die «ja, abers…» aus dem Recruitingorbit auf mich zurasen. Aufschluss über Intelligenz, eine Art Sprachtest und sogar Indiz für die Ernsthaftigkeit der Bewerbung wird man mir zurufen und das Instrument rechtfertigen. Für mich ist das dann im Sinne der berühmten Ausnahme von der Regel nachvollziehbar, wenn es um Jobs geht, bei welchen es unter anderem darum geht, Sachverhalte verständlich und vielleicht sogar packend zu formulieren.
So wie bei Yvonne Miller. «Wenn ich Fachkräfte für Kommunikations- oder Marketingberufe rekrutiere, ist das persönliche Anschreiben oft der einzige Indikator dafür, wie gut ein Bewerber texten kann und wie gut es ihm oder ihr gelingt, die wichtigsten Botschaften zielgruppengerecht herauszuschälen und zu priorisieren», sagt die Senior Managerin News&Content bei Xing Schweiz.
«Ohne Motivationsschreiben müssten wir immer auch Textproben anfordern, die aber in der Regel bereits durch ein Lektorat gingen. Auch bringen z.B. Uniabgänger oft noch keine bereits publizierten Texte oder umgesetzten Projekte mit, die sie in ihr Portfolio aufnehmen könnten. Das alles spricht in unseren Berufen sehr stark für die weitere Notwendigkeit eines persönlich formulierten Motivationsschreibens.»
Das Anschreiben als selektive Arbeitsprobe bei ausgewählten Jobs: Warum nicht. Wir sprechen da aber bestenfalls von 5 Prozent aller ausgeschriebenen Jobs.
Das Motivationsschreiben hat ausgedient. Es bietet nicht das, was es verspricht und ist zur lästigen Pflicht verkommen. Das Festhalten an ihm gereicht den ausschreibenden Unternehmen zu einem veritablen Wettbewerbsnachteil.
Das wären mögliche Alternativen:
Auf Wiederlesen
Quellen:
[1] Jobsuche im Fokus. 2018. StepStone GmbH
[2] Candidate Journey Studie 2017. Prof. Dr. Peter M. Wald (HTWK Leipzig) Christoph Athanas (meta HR Unternehmensberatung GmbH) Berlin / München
[3] Kaderstelle im handwerklich-technischen Bereich, Leitung Einkauf, Fachspezialist/-in Finanzen, SAP Projektleiter/in, Fachangestellte/r Gesundheit, Pflegefachperson HF; 4 verschiedene Arbeitgeber aus 3 Branchen
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Meine Gedanken zu diesem Thema: Ein Motivationsschreiben ist immer dann vonnöten, wenn es explizit verlangt wird. ABER ich halte ein Motivationsschreiben für sehr, sehr wertvoll, aus Bewerbersicht, denn es bietet die Chance eher zu punkten, als mit einem klassischen Bewerbungsschreiben. Denn wer sich hier Mühe fürs Detail nimmt und von sich und seinem Beweggründen für die Bewerbung spricht, der kann Herzen berühren und die Einsicht entstehen lassen, dass man diesen Job oder den Studienplatz schlicht und ergreifend verdient hat. 🙂 Mit bester Empfehlung!
Mit einem Motivationsschreiben hat der Bewerber die Möglichkeit seine Persönlichkeit und Motivation gezielt zum Ausdruck zu bringen. Meiner Meinung nach sollte es nicht soweit kommen das nur noch Lebensläufe versendet werden. Natürlich immer vorausgesetzt der Bewerber hat sich die zeit und Mühe gemacht ein ordentliches und informatives Motivationsschreiben zu verfassen.
Lieber Markus
Danke für Dein Feedback. Ich denke, das entscheidende Wort in Deinem Feedback heisst „Mühe“… 🙂
Herzlich Jörg